Der Lehrkräftemangel wird für das Schuljahr 2018/2019 eklatant werden. Von den laut der SenBJF benötigten 2.150 Lehrerstellen sind 2 1/2 Monate vor Schuljahresbeginn erst 900 reguläre Lehrer eingestellt.
1.250 Verträge sind somit noch nicht unterschrieben. Wie viele Quereinsteiger_innen tatsächlich noch unterschreiben werden, ist noch nicht klar. Fakt ist: Quereinsteiger_innen können nicht in diese Statistik gezählt werden, da sie sich in der Ausbildung befinden und keine vollwertige Lehrkraft sind!
Daher fordert der Landeselternausschuss in dieser akuten Notsituation weiterhin kreative und mutige Denkprozesse! Denkverbote kann sich Berlin nicht mehr leisten!
Es sollten alle Faktoren auf den Tisch gelegt werden, die die Ursache für den Lehrkräftemangel aufzeigen und aus denen entsprechende Lösungen hervorgehen können, bevor man sich weiter ins eigene Fleisch schneidet. Nicht zielführend ist ein Qualitätsverlust des Lehramtsstudiums (auch nicht durch „Unterrichten statt Kellnern“ mit bis zu 14 Stunden plus Vorbereitung etc.), Streichen von Förder- und Teilungsunterricht, Erhöhung der Klassenfrequenzen und des Stundendeputats der Lehrkräfte. Das bringt eine unverantwortliche Abwärtsspirale in Gang und mit der auch eine weitere Spaltung der Gesellschaft hinsichtlich der Frage, wer eine gute Schulausbildung erhält und wer nicht!
Dem Landeselternausschuss ist es zudem ein großes Anliegen, dass trotz der „Mangelzeiten“ die Unterrichtsqualität aufrecht erhalten bleibt bzw. weiterhin an ihr gearbeitet wird (Stichwort: Gute Schule!)
Die Senatsverwaltung ist aufgefordert, gerade aufgrund der angespannten Marktlage, ein wirkungsvolles Verfahren zu entwickeln um eine moderne und zeitgemäße Unterrichtsqualität an den Berliner Schulen sicher zu stellen. Wissens- und Kompetenzvermittlung benötigt eine hohe didaktische, pädagogische und methodische Fähigkeit der Lehrkräfte. In Zeiten des Mangels sollte es für jeden offensichtlich sein, dass dies auf Kosten der Qualität gehen wird. Insbesondere da das derzeitige Verfahren zur Absicherung der Unterrichtsqualität auch schon aktuell und in vorigen „Nicht-Mangel“ Zeiten unzureichend ist.
Auf seiner Sitzung am 29.06.2018 hat der Landeselternausschuss den zuständigen Referatsleiter für Personalmanagement zum Austausch über geplante Maßnahmen der SenBJF und diesbezüglichen Vorschlägen des LEAs zu Gast gehabt. Im Anschluss daran hat sich der Landeselternausschuss auf die folgenden 17 Forderungen verständigt, die jedoch nicht abschließend sind:
(Weitere Maßnahmen, wie die Frage der Verbeamtung der Lehrkräfte, will der Landeselternausschuss zu einem späteren Zeitpunkt nochmal zur Diskussion innerhalb des Gremiums stellen).
1. Einsetzung eines Krisenstabs unter Mitwirkung aller relevanten Berliner Lehrkräfteverbände und des Landeselternausschusses
2. Einführung eines professionellen strategischen systematisierten Personalmanagements in der SenBJF mit Unterstützung und Begleitung von einer externen Unternehmensberatung wie z. B. Kienbaum und Co.!
- Bis heute fehlt es an einer professionellen Strategie der SenBJF, was die Personalplanung an Berlins Schulen betrifft. Trotz jährlicher Prognosen zum Lehrkräftebedarf sind (statistische) Fehlplanungen und Mangelverwaltung Grund für die seit Jahren wiederkehrenden Unterkapazitäten, die sich sowohl auf die Qualität als auch auf die Quantität des Unterrichts an Berlins Schulen auswirken.
- Umgehende Bereitstellung aller dafür notwendigen Finanzen
- Einführung einer quartalsweisen Berichtspflicht der Senatorin gegenüber der Öffentlichkeit
3. Abschaffung der Prüfung zum Mittleren Schulabschlusses an den Gymnasien und Integrierten Sekundarschulen und eventuell weiteren Abschlussprüfungen, wie den BBR an den Integrierten Sekundarschulen (ISS), die durch andere Verfahren erteilt werden können.
- Weniger Prüfzeit bringt mehr Unterrichtszeit! Berlin ist das einzige Bundesland, dass es für notwendig erachtet, zusätzlich zur Versetzungsprognose in die 11. Klasse, den Mittleren Schulabschluss mit einem mehrteiligen Prüfungsverfahren erteilen zu müssen. Anstatt den Schulen die zeitaufwendigen MSA-Prüfungen aufzuerlegen, sollten von der Senatsverwaltung die Alternativen aus den anderen Bundesländern geprüft werden!
4. Weniger Bürokratie ermöglicht mehr Unterrichts- und pädagogische Zeit mit den Schülern!
- Guter Unterricht ist Beziehungsarbeit! Die Lehrkräfte müssen von allen bürokratischen zeitfressenden Arbeiten entlastet werden. Die Lehrer_innen sollten sich darauf beschränken, einen entsprechend den Bedürfnissen ihrer Schulklasse guten Unterricht machen zu können. Dafür braucht man Zeit und Kapazitäten zur Besinnung und Reflexion. Zum Feststellen, wo man Hilfe und Unterstützung braucht. Wie wird die Arbeitszeit der Lehrkraft genutzt, was ist nötig, was ist überflüssig? Das hilft gegen Krankenstand und Burn Outs und ist ermutigend für die neuen Lehrkräfte! Das gehört in Zeiten des Mangels auf dem Prüfstand, um das Wesentliche, den Schüler, die Schülerin nicht aus den Augen zu verlieren!
5. Analyse aller Teilzeitlehrkräfte: Wer macht warum Teilzeit und in welchem Ausmaß? Ist hier Potenzial nach oben?
- Schaffung von Anreizsystemen für die Teilzeitkräfte: Bei freiwilliger Selbstverpflichtung, die Stunden für zwei Jahre zu erhöhen, besteht die Möglichkeit, diese Stunden auf ein Lebensarbeitszeitkonto anzusparen und bspw. in einem Sabbatical abzufeiern.
- Freiwillige Stundenerhöhung bringt 20 % mehr Gehalt pro geleisteter Stunde.
6. Aufhebung der starren Einstellungstermine / Erhöhung der Plätze für berufsbegleitendes Studium
- Ab sofort können Quereinsteiger_innen jederzeit eingestellt werden.
- Die Plätze für ein berufsbegleitendes Studium für Quereinsteiger_innen sind nicht an die aktuellen Einstellungszahlen der Quereinsteiger_innen angepasst - hier muss zwischen einem halben bis ganzen Jahr überbrückt werden und das Studium zögert sich entsprechend raus. Hier muss dringend kurzfristig nachgesteuert werden.
- Eine einheitliche Studienordnung wird zwar erarbeitet, liegt aber immer noch nicht vor. Zusätzlich ist gerade in den Klausuren der Anspruch auf die wissenschaftliche Arbeit gelegt und nicht auf die didaktische Vorgehensweise und Anwendung. Auch das muss kurzfristig verbessert werden.
7. Sofortige Einstellung von Verwaltungskräften
- An allen Berliner Schulen zur zeitlichen Entlastung von Schulleiter_innen und Lehrer_innen mit Priorität für die Schulen, die aus verschiedenen Gründen besonders belastet sind!
8. Umwidmung der Finanzen
- Das Geld, das durch die Nicht-Einstellung vom planerisch notwendigen Lehrpersonal an den Berliner Schulen, „eingespart“ wird, soll den Schulen die unterausgestattet sind zu Gute kommen. Diese Schulen erhalten die entsprechende Differenz der Personalkosten um weitere Unterrichtsangebote damit zu finanzieren (zum Beispiel in Form von qualifiziertem Nachhilfeunterricht). Die Schülerschaft hat ein Anrecht auf die ihnen zustehende Unterrichtszeit! Dies gilt auch für Teilungs- und Förderunterricht!
- Um qualifizierte Lehrer_innenstunden zu sparen und im Unterricht einzusetzen, brauchen Lehrer_innen keine Pausenaufsicht mehr zu führen. Dafür werden Schulsozialarbeiter_innen eingestellt.
9. Massive Ausweitung der Studienplätze in Berlin - Studienplatzoffensive und bessere Vorbereitung auf die „schulische Realität“
Eine tragende Rolle spielen die Universitäten, die mehr Studienplätze anbieten müssen. Doch der hohe Numerus Clausus an den Universitäten verhindert, dass Interessent_innen auf Lehramt studieren können, obwohl es einen chronischen Lehrermangel gibt. Daher:
- Heruntersetzen des NC
- Gute Ausstattung der Hochschulen mit entsprechender Professur und Lehrstuhl
- Das Studium muss die zukünftigen Lehrkräfte besser auf die schulische Realitäten vorbereiten, so dass sie dann auch besser reüssieren können bzw. sich auch zutrauen auch an einer sogenannten „Brennpunktschule“ zu unterrichten.
10. Maßnahmen bei der SenBJF direkt
- SenBJF geht mit gutem Beispiel voran und versetzt 10 % seiner eigenen abgeordneten Mitarbeiter_innen/Lehrkräfte zeitlich befristet wieder an die Schulen.
11. Echte Qualifizierung von Quereinsteiger_innen und sofortige Übernahme der sächsischen Vorgehensweise
- Quereinsteiger_innen sollen eine dreimonatige Einstiegsfortbildung absolvieren, inklusive etwa 100 Stunden Hospitation bei erfahrenen Lehrer_innen und Mentor_innen – bevor sie vor der Klasse stehen. Seiteneinsteiger_innen, die etwa im August unterrichten sollen, werden schon im Mai eingestellt.
- Kein_e Quereinsteiger_in darf als Klassenlehrer_in und vor allem nicht in der Schulanfangsphase arbeiten.
12. Prüfung der Jobbörse auf Effektivität
- In den Stellenausschreibungen unter https://www.bildung.berlin.de/stellenausschreibungen/ stehen Stand 29.06.2018 null Stellenangebote. Das kann angesichts der o.g. Zahlen nicht der richtig sein. Wird diese Möglichkeit korrekt genutzt bzw. richtig gepflegt?
13. Einführung eines Prämienbudgets
Jede Schule erhält ein frei aufteilbares Prämienbudget zur Ausgabe individueller und kollektiver Leistungsprämien. Über die Vergabe entscheidet die Schulleitung in Abstimmung mit der regionalen Schulaufsicht.
14. Gerechte und solidarische Verteilung der Quereinsteiger_innen!
- Das Lehrerkollegium darf aus nur max. 1/8 Quereinsteiger_innen und sonstigen nicht vollausgebildeten Lehrkräften bestehen, die eine Unterrichtsverpflichtung haben!
- Um das zu erreichen, sollten neu einzustellende Lehrkräfte entsprechend ihrer Fächer und ihrer Lehrbefähigung (Grundschule, Oberschule) über die Berliner Schulen so verteilt werden, dass die Anzahl der Quereinsteiger_innen (insbesondere bei den Schulen, die erschwerte Bedingungen haben), auf max. 1/8 des jeweiligen Kollegiums begrenzt ist. Die ausgebildete Lehrkräfte bekommen im Gegenzug die Garantie, dass sie sich nach einer befristeten Zeit (entsprechend der Quereinsteiger-Lehramtsstudienzeit) wieder frei an jeder Schule bewerben können, falls sie einen Schulwechsel wünschen bzw. sogar an die Schule kommen können, zu der sie ursprünglich hinwollten! Es ist klar, dass dieses Verfahren eine weitere Ungewissheit erzeugt und den Lehrkräften ihre freie Arbeitsplatzwahl nehmen würde. Über weitere Anreizsysteme sollten dementsprechend nachgedacht werden, um insbesondere die Schulen, die weniger nachgefragt sind, attraktiver zu machen. Aber es darf nicht sein, dass insbesondere das pädagogische Personal und die Schülerschaft der sogenannten „Brennpunktschulen“ diesen Lehrernotstand nun überproportional „ausbaden“ müssen.
15. Schulen attraktiver machen!
- Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen müssen endlich eingehalten werden! Es ist sehr kontraproduktiv, dass es immer noch Schulstandorte gibt, die nicht über ausreichende Personaltoiletten, Arbeitsplätze im Lehrerzimmer, Ruhezonen etc. verfügen, die die Lehrkräfte unterstützen würden, ihren persönlichen „Kräftehaushalt“ besser schützen zu können. Die äußeren Rahmenbedingungen für den Arbeitsort Schule sind, neben dem Schulklima, ein erheblicher Faktor um die Berliner Schulen in der angespannten Marktlage attraktiver zu machen. Hierzu ist es dringend notwendig eine Plattform herzustellen, wo genau diese Mängel der jeweiligen Schulen dargestellt und ohne behördliches und „Zuständigkeitshickhack“ beseitigt werden.
16. Die Berliner Schulen positiver darstellen!
- Die Außendarstellung der Berliner Schulen besteht fast immer nur aus „Katastrophennachrichten“. Wenn man Berlin nicht kennt (da wird der an sich gut gedachte „Berlin Tag“ eher ein Tropfen auf dem heißen Stein sein), dann wird man sich als angehende Lehrkraft wohl zweimal überlegen, ob man hier her ziehen möchte. Einige Nachrichten sind leider von der Senatsverwaltung selbst verschuldet! Wofür stehen denn die Berliner Schulen, gibt es eine (ernsthafte) Vision für die öffentlichen Schulen wo man hin möchte? Stattdessen ist die Diskussion um die „Richtige Schule“ immer noch viel zu ideologiebehaftet und wird viel zu stark durch die jeweilige politische Brille geführt. Zu viele Reformen in der Vergangenheit, die leider nur halbherzig umgesetzt wurden. Auch das ist abschreckend! Eine Verniedlichung mit Werbeslogans wie „Die stärkste Stadt sucht die stärksten Lehrer“ wird der Situation und wahrscheinlich auch dem Anspruch der Lehrkräfte, die sich für diesen Beruf entschieden haben, nicht gerecht.
17. Umgehende Einrichtung/Berufung eines wissenschaftlichen Beirats unter Beteiligung aller relevanten Fakultäten der Berliner Universitäten (Fachdidaktiken und Fächer)
- Ziel ist die vorhandenen wissenschaftlichen Kompetenzen der vor Ort bestehenden Wissenschaftszentren an den Universitäten zur Qualitätsweiterentwicklung des Berliner Schulsystems zu nutzen. Dem Beirat soll dabei die wichtige Aufgabe zukommen, wissenschaftlich fundierte Impulse zu setzen, Empfehlungen abzugeben und die Senatorin für Bildung zu beraten, insbesondere bei der inhaltlichen Verzahnung und Zusammenarbeit in den Bereichen Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung (LISUM).